„Ich bin ruiniert, mein Haus liegt in Trümmern“, singt das lyrische Ich im Lied „Ay Dîlberê“. In dieser vielschichtigen Klage verdichten sich Motive verlorener Liebe, seelischer Zerrüttung, realer und spiritueller Heimatlosigkeit. Selbst Feqîyê Teyran, der große kurdische Mystiker und Dichter, vermag hier keinen Beistand zu geben. „Ay Dîlberê“ ist eines der zehn Lieder, die die Musiker Adir Jan und Emrah Gökmen an diesem Abend singen. Ihre Lieder erzählen von dunkler Liebe, tiefer Sehnsucht, von Verlust, Exil und kollektivem Gedächtnis – von Pflanzen, Tieren, Insekten, Landschaften, von Feuer, Wasser, Erde und Gold, von Spiritualität, aber auch von patriarchaler Gewalt – und führen zugleich eine jahrhundertealte orale Tradition fort. Sie singen in Kurmancî, einem Dialekt des Kurdischen; in Zazakî, einer westiranischen Sprache, die vor allem in Dersim, Bingöl und Erzincan gesprochen wird; in Türkisch; in Arabisch und lokalen idiomatischen Formen, die sich keiner Standardsprache eindeutig zuordnen lassen. Diese Ausdrucksformen verweisen auf ein vielstimmiges, kulturell verflochtenes Gebiet, das als Teil Mesopotamiens beschrieben wird. Ihre Stimmen sind wie Flüsse, deren Wasser im Sonnenlicht funkelt – sie tragen die Weisheit uralter Ströme in sich, älter als das sesshafte Leben, älter als die Erinnerung selbst.
Adir Jan & Emrah Gökmen sind langjährige Weggefährten, verbunden durch eine tiefe musikalische und künstlerische Verwandtschaft.
Adir Jan hat kurdisch-zazaischen Wurzeln und wurde 1984 in Berlin-Kreuzberg geboren, wo er schon früh mit verschiedenen musikalischen Idiomen und Kulturen in Berührung kam. Neben seinem philologischen Studium und seinen politischen Aktivitäten machte er sich auf die Suche nach einer eigenen Stimme und begann, seine vielfältigen Einflüsse in seiner Musik zu vereinen, die er „Cosmopolitan Kurdesque“ nennt. Adir Jan setzt sich aktiv für queere Sichtbarkeit, transkulturelle Vielfalt und gesellschaftlichen Wandel ein.
Emrah Gökmen erhielt seine erste musikalische Ausbildung an der Müjdat Gezen Universität in Istanbul. Seit 2009 lebt er in Deutschland und verarbeitet vielfältige Erfahrungen aus der Sozialisierung in der Türkei und Deutschland. Als Musiker und Künstler setzt er sich mit Themen wie Solidarität, Wandel und Widerstand auseinander. Er veröffentlichte mehrere Alben, initiierte den Chor Kız Meslek Korosu und wirkt an verschiedenen Musikprojekten in Berlin mit. Er absolvierte 2021 sein Studium der Bildenden Kunst an der Universität der Künste Berlin in der Klasse von Prof. Thomas Zipp.
Das Konzert von Adir Jan und Emrah Gökmen findet im Rahmen des QuiS Research Fellowships von Dr. Gürsoy Doğtaş an der Städelschule statt, das im Wintersemester 2024/25 und Sommersemester 2025 der Geschichte der sogenannten Gastarbeit und den damit verknüpften kulturellen, aktivistischen und künstlerischen Praktiken nachgeht. In diesem Semester steht der Leitgedanke im Fokus, wie soziale Machtstrukturen durch eine Politik des Hörens in Frage gestellt werden können. Das Programm im Rahmen des QuiS Research Fellowships wird durch die großzügige Unterstützung des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur ermöglicht.