Sammy Baloji setzt sich in seiner künstlerischen Arbeit immer wieder mit der Geschichte des Bergbaus in und um seine Heimatstadt Lubumbashi im Südosten der Demokratischen Republik Kongo auseinander. Er dokumentiert, wie die Bergbauindustrie die Region Katanga und ihre sozialen Strukturen weitgehend zerstört, das Land in Ressourcen verwandelt und ganze Gesellschaften zu einem bloßen Pool potenzieller Arbeitskräfte reduziert hat. Dieser Härte stellt er die Erinnerungen, Hoffnungen und Projekte der Menschen gegenüber, die inmitten der Ruinen des Kolonialismus, des industriellen Bergbaus und der globalen kapitalistischen Wirtschaft leben. In der Ausstellung "Unextractable. Sammy Baloji invites", die derzeit in der Kunsthalle Mainz zu sehen ist, stehen kollektive Formen der künstlerischen Produktion und die sorgfältige Arbeit an der Überlieferung unter prekären Bedingungen im Vordergrund, die sich den anhaltenden toxischen Auswirkungen der wirtschaftlichen ökologischen und soziokulturellen Ausbeutung widersetzen wollen.
Nach dem bahnbrechenden Bericht über die Rückgabe des afrikanischen Kulturerbes (mit Felwine Sarr, 2018) und ihrer wichtigen Arbeit über die Geschichte der Büste der ägyptischen Königin Nofretete hat die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy kürzlich den umfangreichen Sammelband "Atlas der Abwesenheit " (2023) herausgegeben. Dieser dokumentiert den massiven Raub von Kulturgütern aus Kamerun während des deutschen Kolonialismus und den anhaltenden Verlust den diese Artefakte, die in deutschen Museumslagern aufbewahrt werden, in den kamerunischen Gemeinden hinterlassen. Das Buch ist das Ergebnis einer umfangreichen kollektiven Forschungsarbeit, die von kamerunischen und deutschen Forscher*innen über mehrere Jahre hinweg gemeinsam durchgeführt wurde, um die Erkenntnisse aus beiden Kontexten zusammenzuführen. Das Buch soll neue Grundlagen für die Diskussion über die kulturelle Restitution des kamerunischen Erbes in deutschen Museen schaffen.
Nach einleitenden Präsentationen der beiden Referent*innen wird sich die Diskussion um Fragen drehen, wie: Wie kann man Kulturarbeit als Wiedergutmachung betrachten? Welche Rolle kann transnationale Zusammenarbeit bei der "Wiedergutmachung von Unrecht" (Gayatri Spivak) spielen? Wie kann die Übertragung auf transformative Weise erfolgen?
Das Gespräch wird moderiert von Lotte Arndt, Wissenschaftlerin und Kuratorin, "Reconnecting Objects", TU-Berlin/Paris, und findet in Zusammenarbeit mit der Kunsthalle Mainz statt, im Rahmen der Ausstellung "Unextractable. Sammy Baloji invites", ko-kuratiert von Lotte Arndt, Yasmin Afschar und Marlène Harles. Sie bildet den Auftakt für das öffentliche Programm "Transmission by Transformation" mit den beteiligten Künstler*innen am 26. und 27. Januar 2024 in der Kunsthalle Mainz. Weitere Informationen finden Sie auf der Website: https://www.kunsthalle-mainz.de/
Sammy Baloji, geboren 1978 in Lubumbashi (DRC), lebt und arbeitet in Brüssel (B) und Lubumbashi. Sammy Baloji erforscht derzeit Erinnerung und Überlieferung in Luba-Gemeinschaften in verschiedenen Provinzen des Kongo. Er interessiert sich für zeitgenössische Interpretationen vorkolonialer Formen und Objekte. Ein Beispiel dafür ist die "Lukasa", ein verzierter Holzgegenstand, der als taktile Gedächtnisstütze beim Geschichtenerzählen verwendet wird. Sammy Baloji bezieht sich auf diese Tradition mit einer monumentalen Skulptur in einem öffentlichen Raum in Antwerpen. In anderen Werken wird ein "Kasala" aufgeführt, ein zeremonielles Gedicht mit genealogischen Elementen. Sammy Balojis Werk umfasst verschiedene Medien: von Fotografie und Collage über Skulptur und Installation bis hin zu Neuen Medien, gesprochenem Wort und Musik. Seine Arbeit verdichtet komplexe Fragen zur (post-)kolonialen Geschichte. Er nutzt das Archiv, das Museum und den Film als Prismen, um diese Konstruktionen zu analysieren und in sie einzugreifen. Dabei verschränkt er sie mit zeitgenössischen Diskussionen über Restitution und Repräsentation.
Bénédicte Savoy ist Leiterin des Fachgebiets Kunstgeschichte der Moderne an der Technischen Universität Berlin. Von 2016 - 2021 hatte sie parallel eine Professur am Collège de France in Paris für die Kulturgeschichte des künstlerischen Erbes in Europa vom 18. bis 20. Jahrhundert inne. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören Museumsgeschichte, deutsch-französischer Kulturtransfer, NS-Kunstraub und postkoloniale Provenienzforschung. Gemeinsam mit dem senegalesischen Wissenschaftler Felwine Sarr, erstellte sie 2018 im Auftrag des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron den Bericht "Über die Restitution afrikanischer Kulturgüter". Für ihre Forschung und ihre akademische Lehre erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen, darunter der 2016 verliehene Gottfried Wilhelm Leibniz Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie zuletzt der Berliner Wissenschaftspreis des Regierenden Bürgermeisters. Sie ist u. a. Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, der französischen Ehrenlegion sowie diverser wissenschaftlicher Beiräte und Gremien. Zuletzt erschienen von ihr das in mehrere Sprachen übersetzte Buch "Afrikas Kampf um seine Kunst. Geschichte einer postkolonialen Niederlage" sowie die Gemeinschaftspublikation "Atlas der Abwesenheit. Kameruns Kulturerbe in Deutschland".
Die Forscherin und Kuratorin Lotte Arndt (Paris, Berlin) konzentriert sich auf Werke von Künstlern, die die postkoloniale Gegenwart und die Antinomien der Moderne in einer transnationalen Perspektive hinterfragen. Im Rahmen des internationalen Projekts "Reconnecting Objects. Epistemic Plurality and Transformative Practices in and beyond Museums" (Technische Universität Berlin) forscht sie derzeit zu toxischer Konservierung, chemischer Modernität und kolonialen Sammlungen. Sie ist Mitbegründerin der Online-Zeitschrift "Troubles dans les collections" und Ko-Kuratorin von "Unextractable. Sammy Baloji invites" der Kunsthalle Mainz (Okt. 2023-Feb. 2024), und veröffentlichte kürzlich "Poisonous Heritage: Chemical Conservation, Monitored Collections, and the Threshold of Ethnological Museums", Museums & Society, 20 (2), 2022.
Zu ihren früheren Veröffentlichungen gehören: "Les survivances toxiques des collections coloniales ", Troubles dans les collections, Nr. 2, 2022; "Candice Lin. A Hard White Body " (mit Y. Umolu), Chicago University Press, 2019; "Les revues font la culture! Négociations postcoloniales dans les cevues culturelles africaines à Paris", Trier WVT 2016; "Crawling Doubles. Colonial Collecting and Affect" (ed. mit M. K. Abonnenc und C. Lozano), B42 2016; "Hunting & Collecting. Sammy Baloji" (ed. mit A. Taiaksev) 2016.
Der Vortrag findet in englischer Sprache statt.