Anlässlich der Absolvent*innenausstellung 2024 The Call am Schaumainkai 96, erhielt Thuy Tien Nguyen den mit € 2000 dotierten Absolvent*innenpreis des Städelschule Portikus e.V. 

Thuy Tien Nguyen

geboren 1993 in Hanoi
Klasse Haegue Yang

Die Abschlussausstellung "The Call" zeigt zwei meiner Arbeiten: eine Klanginstallation und eine Skulptur. Beide kreisen die Themen wie "Disziplin", "Fragilität" und "Starrheit" – in Bezug auf frühkindlichen Erziehung – und beschäftigen sich gleichzeitig mit den aktuellen architektonischen Bedingungen des Raums.

"About the weight of a tragic eyelid" thematisiert einen in Vietnam vorherrschenden Glauben, den Eltern und Lehrer verbreiten, indem sie Kinder davor warnen, Verbotenes anzuschauen, da sie sonst ein Gerstenkorn bekämen. Die Skulptur befindet sich in einer Ecke des Raumes die von bodentiefen Fenstern gebildet wird. Das hölzerne Podest hat den Anschein einer Bühne – den Umriss eines Möbelstücks. Es markiert eine Fläche von vier Quadratmetern und bildet eine Stufe über dem Boden, die mit dunkler Flüssigkeit gefüllt ist. Die Form verweist auf ein in vietnamesischen Klassenzimmern weit verbreitetes Podest, das eine räumliche Trennung zwischen Lehrern und Schülern – und zwei Niveaus – erzeugt.

Die dunkle Flüssigkeit in der hölzernen Plattform verwandelt diese in ein Gefäß. Die violette Füllfedertinte stammt von der Firma Hong Ha, einem der ältesten Unternehmen in Nordvietnam, das Füllfederhalter und Tinte herstellt. Für Schüler, die in Vietnam lernen, mit der rechten Hand das lateinische Alphabet zu schreiben, ist die Benutzung der violetten Tinte Vorschrift. Aus der Tinte ragen fünf einzelne Edelstahl-Skulpturen hervor, die auf der Oberfläche der Tinte zu wippen scheinen. Das Licht, das durch die Fenster fällt, beleuchtet die violette Tintenlache. Es wird vom auf Hochglanz polierten Stahl reflektiert. Spiegeln bedeutet, das Licht zu reflektieren, das die Augen sehen sollen. Das Spiegeln eines Spiegels, das Reflektieren einer Reflexion ist eine Disruption des Sehens. Die Augen sind zum Sehen, zum Schauen da. Die Augenlider verteilen nicht nur die Tränenflüssigkeit – sie dienen dem Schutz. Eine Schwellung entsteht, wenn das Augenlid versagt. 

Umgangssprachlich – Ein Gerstenkorn ist die Konsequenz eines Blickes auf Verbotenes.
Umgangssprachlich – Noch heute sind meine Hände von violetter Tinte befleckt.

(Thuy Tien Nguyen)

Jury

Die Jury der Absolvent*innenpreise 2024, die freundlicherweise von Städelschule Portikus e.V. und der Sammlung Pohl gGmbH gesponsert werden, besteht aus Julia Galandi-Pascual (Direktorin Sammlung Pohl), Julia Magnus (Städelschule Portikus e.V.), Yasmin Naderi Afschar (Co-Direktorin Kunsthalle Mainz) und Prof. Yasmil Raymond (Rektorin Städelschule und Direktorin, Portikus)

Mit Unterstützung des Städelschule Portikus e.V.