UNTER KAMMERMUSIK
Performance
mit Alexander Iezzi, Rebecca Lane, Jie Ren Lim
19.11.2021, 18:00 & 20:30 Uhr
Freier Eintritt
Die HALLE FÜR KUNST Steiermark freut sich in der neu initiierten Performancereihe Give Rise To, die sich dieses Jahr durch unterschiedliche Perspektiven mit der Geschichte, den Ressourcen und den diversen Bevölkerungsgruppen von Graz auseinandersetzt, eine bemerkenswerte ortsspezifische Neuproduktion vorzustellen. In diesem Zusammenhang präsentiert der belgische Künstler Billy Bultheel in Kollaboration mit der argentinischen Künstlerin Viviana Abelson die Performance UNTER KAMMERMUSIK.
Billy Bultheel (*1987 Brüssel, lebt in Berlin) nutzt in seinen Performances und Installationen architektonische Versatzstücke und Infrastrukturen um verschiedene Räume zu besetzen. Ob auf einem Wohnhausdach oder in einer Kirche, Bultheels kollaborative Arbeiten provozieren immer eine produktive Spannung mit dem Ort, an dem sie präsentiert werden. Zentral für die Praxis des Künstlers ist die langjährige Auseinandersetzung mit barocker Mehrtonmusik, die er mit Elementen von Noise, Elektronik und Metall kombiniert.
Die argentinische Künstlerin Viviana Abelson (*1985 Buenos Aires, lebt in Berlin) fertigt Objekte, Skulpturen und Musikinstrumente. Im Zentrum ihrer Praxis spielt das Erforschen von Körperlichkeit, Maschinen und Materialien eine zentrale Rolle. So verwendet die Künstlerin Werkstoffe wie Stahl, Gummi oder Leder, die sie auf ihr physisches und alchemistisches Potential hin untersucht. Durch das Aufschneiden und Neuzusammensetzen jener werden die Kräfte sichtbar, mit welchen Abelson die Substanzen bearbeitet. Die so entstandenen Werke sind durch eine erzählerische Qualität geprägt, die versucht die Manipulation und den Druck, der durch Ökonomie und Politik auf den Gesellschaftskörper wirkt, darzustellen. In jüngster Zeit widmet sich die Künstlerin dem Bau von Instrumenten, so werden beispielsweise mit Leder bespannte Autoreifen zu Perkussionsinstrumenten.
UNTER KAMMERMUSIK ist das zweite Kapitel innerhalb einer neu konzipierten Performancereihe. Das erste Kapitel Unter wird vom Schinkel Pavillon in Berlin ausgerichtet, wo es einige Tage vor der Grazer Performance zu sehen sein wird. Für den von der HALLE FÜR KUNST Steiermark neu in Auftrag gegebenen zweiten Teil wird temporär ein wichtiger historischer Ort der Stadt Graz, das Landeszeughaus, bespielt.
Mit über 32.000 Objekten wie Harnischen und Schutzwaffen beherbergt es das größte noch erhaltene neuzeitliche Waffenarsenal der Welt. Bis heute legt dieser historisch signifikante Ort Zeugnis über eine bewegte Geschichte der Region ab: Zwischen 1642-47 errichtet, diente die im Haus gelagerte Kriegsausrüstung der Abwehr gegenüber den Angriffen des Osmanischen Reiches, das im Zuge seiner expansiven Ausdehnung in unmittelbarer Nähe lag und eine fortwährende Bedrohung darstellte, sodass die Steiermark zu einer Region mit zentraler militärischer Bedeutung wurde. Das Zeughaus ist heute in adaptierter Form für die Öffentlichkeit zugänglich, wodurch die historische Systematik der Aufstellung und Einlagerung der unterschiedlichen Waffen und die damit verbundene historische Signifikanz dieses Ortes sichtbar wird.
Für UNTER KAMMERMUSIK inszeniert Bultheel gemeinsam mit drei Performer_innen und in Verwendung von neu angefertigten Instrumenten Abelsons eine zeitgenössische Version eines Kammermusikkonzertes. Die Wahl für diese spezifische Form des Konzertes entstand in Reflexion über die symbolische Bedeutung der Architektur des Landeszeughauses. Die Entwicklung der Kammermusik geht mit jener des sogenannten „Musikzimmers“ einher: Ab der frühen Neuzeit entstanden diese besonderen Räume in Wohnhäusern einer vermögenden bürgerlichen Elite, in welchen Konzerte im intimen Rahmen stattfanden. Die Art der Architektur, Größe und Ausstattung der Musikzimmer wurden zu Indikatoren für den Wohlstand ihrer Erbauer_innen. In das immaterielle Wesen der Musik schrieb sich so ein konkreter ökonomischer Wert ein. Nach und nach wurde die Präsentation von Instrumenten allmählich wichtiger als das tatsächliche Spielen. Obwohl die typologischen Architekturen von Musikzimmern und Waffenarsenalen keine Ähnlichkeiten haben, sieht Bultheel beide als „historische Speicher von Macht und Kapital”.
Eine solche konzeptuelle Gegenüberstellung und Verbindung von Architektur, Infrastruktur und Ökonomie durch die Mittel, die Musik und Performance bereitstellen, liegt im Kern der Performance von Bultheel. UNTER KAMMERMUSIK zählt zu einer Reihe an Projekten in denen sich Bultheel der Verbindung von Kriegsgeschehen und Musik widmet. Durch die technologische Entwicklung von Pfeifen, Ventilen und Glocken wurde es beispielweise möglich in Territorien einzudringen, die außerhalb des Sehfeldes waren. In der Gegenwart lassen sich vergangene Kriege meist nur durch visuelles Material wie Karten darstellbar machen.
Durch die Komposition von immersiven Partituren und experimentellen Soundscapes erweckt Bultheel die Körper, die ursprünglich als Vehikel des Kriegs dienten, wieder zum Leben. Hierfür aktiviert er in UNTER KAMMERMUSIK die Körper der Performer_innen, die sich Instrumente spielend durch die schmalen und dunklen Gänge der historischen Architektur bewegen um eine intime akustische Umgebung zu schaffen, in der ein Nachdenken über Verwundbarkeit und Anpassungsfähigkeit, Dunkelheit und Licht, Vergangenheit und Gegenwart möglich wird.
Kuratiert von Cathrin Mayer
Landeszeughaus
Herrengasse 16
8010 Graz
HALLE FÜR KUNST
Steiermark