Hell
Eröffnung am Freitag, den 24. Juni 2022, von 16 – 21 Uhr
Laufzeit: 25.6. – 3.9.22
Öffnungszeiten nach terminlicher Vereinbarung.
Galerie Kai Erdmann
Schweidnitzer Str 17 · 10709 Berlin
Das eine ein fiebrig aufgeladenes Gemütslabyrinth, das andere die rätselhaft erhabenen Areale des Denkens und der Erinnerung - dem Bezirk des Unwirklichen, in dem Erinnerungsmomente aus früheren Lebensabschnitten künstlerisch archiviert sind.
Veit Loers
Über das Licht in Peyman Rahimis HELL
Nicht umsonst hat Peyman Rahimi das Wort „Hell“ zum Titel seiner aktuellen Ausstellung gewählt.
Mehrdeutig gewiss, aber auch das englische Höllenfeuer hat mit Licht zu tun. Weit wahrscheinlicher ist allerdings, dass Rahimi das deutsche Adjektiv zuerst meint (und ganz nebenbei die angelsächsische Hölle gerne mitnimmt).
Peyman Rahimis künstlerische Arbeiten haben oft mit Licht zu tun – naturgemäß, könnte man einwenden, bei welchem bildenden Künstler sollte das nicht so sein? Also etwas genauer: Die mannigfaltige Verwendung von – manchmal zerbrochenen – Spiegeln, Brechungen des Lichts, Verzerrungen und elektrischem Licht ist auffällig in Rahimis Œuvre. Es kann sich um Leuchtstoffröhren handeln, um herkömmliche Glühlampen oder auch um sehr spezielle, quasi vom Aussterben bedrohte Leuchtmittel, die in dieser und jener Arbeit auftauchen, immer aber sehr bewusst gesetzte Komponenten der jeweiligen Werke darstellen.
Hell ist es auch sonst in den Berliner Räumen der Galerie Kai Erdmann, in Rahimis Ausstellung passiert allerdings etwas Sonderbares: Zusätzlich zu dem in den Räumen vorhandenen Beleuchtung – Leuchtstoffröhren mit relativ kaltem weißem Licht – hat Rahimi einige 500 Watt starke sogenannte Natriumdampf-Hochdrucklampen installiert. Auch wenn ähnliche Lampen heutzutage noch in der Straßenbeleuchtung Verwendung finden, erinnert Rahimis Variante an eine altertümliche, fast schon etwas bedrohlich wirkende lichttechnologische Erfindung des frühen 20. Jahrhunderts.
Besagte Lampen sind sehr hell und sehr „grün“. Sie tauchen die Ausstellung in ein absurdes, kaltes, grünes Licht, sie färben alles ein. Man kann nicht anders, als die eigentümliche Lichtstimmung zu bemerken, sie ist irgendwie aufdringlich, eigenartig, ich komme mir selbst komisch vor, einige Besucher*innen fühlen sich vielleicht unbehaglich.
Der Punkt ist aber, es lässt einen das Gefühl nicht los, die anderen Arbeiten im Raum, die Bilder, Stoffe, Böden, die komplette Installation, nicht „richtig“ wahrnehmen zu können. Ich bekomme den Eindruck, ich sehe das „falsch“. Etwas stimmt nicht. Wie wäre es ohne dieses extreme Licht? Und dann geht es los: Was ist Licht überhaupt? Wellentheorie, Teilchentheorie, Lichtquantentheorie (also eine Art Mix der beiden Ersteren). Und wie nehme ich wahr? Oder was nehme ich unter welchen gegebenen Bedingungen wie wahr? Warum? Warum so? Ich habe keine Möglichkeit, die Dinge im Raum „anders“ zu sehen.
Das Licht, und damit der Künstler, bestimmt offenbar darüber, wie ich diesen Raum und alles in diesem Raum wahrnehme. Hier könnte man auch wieder einwerfen: Natürlich, genau das versuchen Künstler*innen des Öfteren mal, sich einmischen in die vermeintlichen Realitäten, Inkonsistenzen aufzeigen, brüchig machen … Aber so wie hier geht es mir in den meisten Ausstellungen, die ich besuche, eher nicht.
Themen der Wahrnehmung in der Kunst zu verhandeln kann oftmals problematisch sein. Ich erinnere mich, perfekt inszenierte und ausgeführte Werke anderer Künstler*innen gesehen zu haben, die wie Wahrnehmungsfallen funktionieren, wie „Täuschungen“ daherkommen; sie waren immer enttäuschend, reduktiv, unterkomplex, ein Jahrmarktscherz.
In Rahimis Hell passiert das alles fast wie nebenbei, unaufgeregt, aufdringlich und subtil zugleich.
Dann bemerke ich, dass die Leuchtstoffröhren, die gewohnte Beleuchtung in der Galerie Kai Erdmann, deutlich rosa leuchten. Das ist ja wohl nicht das gängige Licht hier, sondern muss ein Resultat des grünen Lichts der Natriumdampf-Hochdrucklampen sein, sie färben scheinbar auch das übliche weiße Raumlicht ein, sie färben meine Sicht auf die Dinge ein. Umso mehr bin ich verunsichert. Was auch immer ich da sehe, darauf verlassen kann ich mich nicht.
Kann ich mich jemals darauf verlassen, unter „normalen“ Umständen darauf verlassen, kann ich dem Tageslicht trauen? Plötzlich muss ich an Bienen denken, die angeblich UV-Licht sehen können, aber keine Rottöne.
Ich beginne mehr und mehr darüber nachzudenken, wie menschliche Wahrnehmung funktioniert. Wie sie funktionieren könnte, wie sie uns dazu veranlasst, unsere Umgebung zu konstruieren. Vor allem werde ich gewahr, wie anfällig sie ist, wie fragil unser Konsens darüber ist, was wir sehen, hören, schmecken, fühlen.
Und dann sind da noch vielfach segmentierte Spiegelflächen. Neben vielen anderen Werken natürlich: Arbeiten auf Papier, Stoffe, die in ihrer Grundfarbigkeit und mit rostroten Spuren überzogenen Brutalität wie Eisen wirken (über die Farbigkeit bei Tageslicht kann man natürlich nur spekulieren), fragmentierte Böden aus dunkler Teerpappe …
Aber zurück zu den Spiegel-Fragmenten, eine von vielen Arbeiten in diesem Raum, die ganz
offensichtlich Teil eines großen Ganzen ist. Sie ist Teil dieser Rauminstallation die wir (unter anderem wegen des vorherrschenden Lichts) als Einheit wahrnehmen können.
Die hier präsentierte Spiegel-Arbeit hat einen unbetitelten Vorgänger: Ein großer Spiegel wurde von Rahimi auf Leinwand aufgezogen und vielfach zerbrochen, die einzelnen Teile haften an dem Gewebe, statt zerschmettert am Boden zu liegen. Der Spiegel bleibt also in gewisser Weise „ganz“, andererseits zerbricht er immer weiter. Die Arbeit wurde von Rahimi mehr als einmal gezeigt, zwischendurch wurde sie gerollt und gelagert, und mit jedem Mal Aufrollen und Entrollen verändert der Spiegel seinen Zustand. Immer mehr Teile brechen auf unvorhersehbare Weise. Das Werk verwandelt sich permanent, verharrt niemals in einem determinierten Endzustand, sondern befindet sich in einem Dazwischen, an einer Schwelle, in permanentem Übergang.
Ebenso verhält es sich mit der aktuellen, neuen Spiegel-Arbeit, das Zersplittern, das Brechen, die Transformation sind im Werk passiv angelegt. Die Arbeit wartet darauf, verändert zu werden, durch Zufälle, Unfälle, begehen von Besucher*innen, usw.
Blicken wir in diese Spiegel, werfen sie Hunderte fragmentierter Bilder unseres äußeren Erscheinungsbildes zurück. Damit nicht genug, noch dazu sehen wir uns in diesem seltsamen „kranken“ Licht, zersplittert, mit grünlicher Haut – wir sehen nicht gut aus. Ich denke an Heraklits panta rhei und sein „… wir sind es und wir sind es nicht“. Als würden das grüne Licht und die Spiegel zu einer Metapher, sie lassen uns anders erscheinen, uns anders wahrnehmen, sie verändern uns und verweisen auf die Inkonsistenz und Fragilität des Realität genannten Chaos. „Reality, in turn, is the index of its own fragility“, schreibt Marcus Steinweg in einem „NOT KEPT“ betiteltem Kurztext.
Rahimi und seine Verwendung von Licht in HELL machen unsere eigene Wahrnehmung und damit die Unmöglichkeit konsistenter Konstruktionen von Realität wahrnehmbar(er).
Bernhard Schreiner
Frankfurt, Juni 2022