Überall auf der Welt wird giftiges Tränengas eingesetzt, um Menschen, die sich zu demokratischen Protesten versammeln, auseinanderzutreiben, weißer Phosphor und Chlorgas, um Terror in Städten zu verbreiten, Herbizide aus der Luft, um Ackerland zu zerstören und Lebensgrundlagen zu vernichten, und Brandstiftung im großen Stil, um Wälder für industrielle Plantagen auszurotten. Mobilisiert von staatlichen und korporativen Mächten kolonisieren toxische Wolken die Luft, die wir atmen, über verschiedene Maßstäbe und Zeiträume hinweg–von städtischen Plätzen bis zu Kontinenten, von einmaligen Vorfällen bis zu epochalen Latenzen.
In der jüngeren Geschichte der Menschenrechte wurden Gewaltvorfälle als vorübergehende und kinetische Ereignisse interpretiert: ein Schuss oder eine Explosion, bei denen "jeder Kontakt eine Spur hinterlässt". Aber zeitgenössische Wolkenstudien erfordern einen anderen Ansatz. Bei der Analyse von Gewalt aus der Luft ist Kausalität schwer nachzuweisen; der "Kontakt" und die "Spur" driften auseinander, werden von Winden oder Meeresströmungen fortgetragen. Wolken sind transformative Gebilde–ihre Dynamik ist schwer fassbar und nichtlinear. Um diese giftigen Nebel herum kultivieren die gegenwärtigen politischen Bedingungen Zweifel und tödlichen Skeptizismus; physische Wolken werden epistemologisch. Wenn die Machthaber die Realitäten des Klimawandels oder der chemischen Angriffe leugnen, müssen diejenigen, die gezwungen sind, die Wolken zu bewohnen, neue Formen des Widerstands finden.
Eyal Weizman ist der Gründungsdirektor von Forensic Architecture und Professor für räumliche and visuelle Kulturen am Goldsmiths, University of London. Er verfasste über 15 Bücher und lehrte an zahlreichen Universitäten, u.a. der Princeton University, der ETH Zürich sowie der Akademie der bildenden Künste in Wien. Er gehört dem technologischen Beirat des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag sowie dem Vorstand des Centre for Investigative Journalism, London, an. Im Jahr 2019 wurde er Fellow der British Academy. Anfang 2020 wurde er für seine Dienste an der Architektur als Mitglied des Order of the British Empire (MBE) ausgewählt. Im Jahr 2020 wurde er außerdem zum Richard-von-Weizsäcker-Fellow der Bosch-Akademie ernannt. Eyal Weizman studierte Architektur an der Architectural Association School of Architecture in London und promovierte 2006 am London Consortium in Birkbeck, University of London.
Der Vortrag findet in englischer Sprache statt.